Welche konkreten Verhaltensweisen sind gemeint, wenn man von sozialen Kompetenzen spricht? Um einen ersten Eindruck davon zu geben, soll hier eine Aufzählung von Gambrill wiedergegeben werden:
-
- Nein sagen
- Versuchungen zurückweisen
- Auf Kritik reagieren
- Änderungen bei störendem Verhalten verlangen
- Widerspruch äußern
- Unterbrechungen im Gespräch unterbinden
- Sich entschuldigen
- Schwächen eingestehen
- Unerwünschte Kontakte beenden
- Komplimente akzeptieren
- Auf Kontaktangebote reagieren
- Gespräche beginnen
- Gespräche aufrechterhalten
- Gespräche beenden
- Erwünschte Kontakte arrangieren
- Um einen Gefallen bitten
- Komplimente machen
- Gefühle offen zeigen
[nach Gambril, 1995: Assertion skills training. In W. O’Donohue & L. Krasner (Eds.), Handbook of social skills training (pp. 81–118). Boston: Allyn & Bacon.]
Quellenangabe: Gruppentraining sozialer Kompetenzen / GSK, Hinsch & Pfingsten, 6. Auflage, Seite 18
Kommentar zum Zitat:
Über Definitionen lässt sich bekanntlich viel streiten. Und jeder Wissenschaftler mag sein Recht ausüben, seine eigene Definition für etwas festzulegen. Entsprechend muss man einräumen, dass es für viele Begriffe nicht die eine Definition gibt. Insofern ist die Frage nach der Definition von Sozialer Kompetenz zwar nicht müßig, aber nie letztlich abschließbar (vgl. auch unsere Hauptseite zum Thema Sozialkompetenz: Was ist Sozialkompetenz? Welche Sozialkompetenzen gibt es?). Für die Praxis deutlich hilfreicher sind Auflistungen wie die obige - zumindest im Kontext der Frage: "Was ist eigentlich sozial kompetentes Verhalten?" oder "Wie drückt sich soziale Kompetenz im Alltag aus, im Verhalten, in der Kommunikation?"Die von Hinsch und Pfingsten übernommene Aufzählung Gambrills macht insbesondere im Kontext des Buches "GSK - Gruppentraining sozialer Kompetenzen" Sinn. Denn die Autoren des GSK haben ihr Sozialkompetenz-Training ja darauf fokussiert, drei verschiedene Typen von sozialen Situationen zu trainieren. In diesen drei Situationstypen sind unterschiedliche "Soft Skills", "Social Skills" oder "Soziale Kompetenzen" gefordert. Sprich: unterschiedliche Situationen erfordern unterschiedliches Verhalten. Das ist für die meisten nicht neu oder verwunderlich, für viele Patienten / Klienten in der Psychotherapie jedoch nicht so einfach umzusetzen.
Das o.g. Beispiel für sozial kompetentes Verhalten "Änderungen bei störendem Verhalten verlangen" z.B. wird im GSK mit dem Situationstyp "R" = "Recht durchsetzen" trainiert. Dabei geht es darum zu üben, wie man in Situationen, in denen man (tatsächlich) ein Recht auf eine bestimmte Forderung hat, diese Forderung auch zu artikulieren und durchzusetzen. Dabei geht es nicht darum, bestimmte Wünsche zu artikulieren und durchzusetzen, die man zum Beispiel an seinen Partner hat (Urlaubswünsche, generelle Verhaltenswünsche etc.). Beim Situationstyp R (Recht durchsetzen) geht es zum Beispiel darum, vom der Kassiererin im Supermarkt ein korrektes Wechselgeld (nach)zufordern, wenn diese zu wenig Rückgeld gegeben hat. Der Anspruch darauf, ein korrektes Rückgeld zu erhalten, ist nicht diskutabel. Dennoch ist es vielen (schüchternen, unsicheren) Menschen unangenehm, diese berechtigte Forderung zu stellen (siehe auch: Selbstbewusstsein sowie Maaz zum Thema Selbstunsicherheit). Statt dessen "kneifen" sie, und ärgern sich danach über ihr Verhalten und die Situation. Recht durchsetzen zu können ist daher ein gutes, allgemeines Beispiel für "sozial kompetentes Verhalten". Und wer in Situationen wie der "Zu wenig Rückgeld erhalten" regelmäßig kneift, sich nicht traut, die Kassiererin auf den Fehler aufmerksam zu machen und das fehlende Restgeld einzufordern, der verhält sich (definitionsgemäß) eben nicht sozial kompetent.
Sozial kompetentes Verhalten hat somit nicht unbedingt etwas mit "immer nett sein" zu tun, oder "von anderen gemocht zu werden", oder "sich so verhalten, dass andere sich nicht unangenehm berührt fühlen" o.ä. - nein, es beinhaltet auch, seine eigenen Interessen, Rechte, Wünsche und Forderungen auf angemessene Weise durchsetzen zu können und es auch tatsächlich zu tun. Denn das theoretische "schon können" allein bringt kein sozialkompetentes Verhalten, wenn man in realen Situationen dann immer die (für einen) unangemene Situation bzw. das (für einen) unangenehme, sich unsicher anfühlende Verhalten vermeidet.
Sozialkompetenz im Alltagsverhalten hat also nicht nur etwas mit Kenntnissen und Fähigkeiten im Kontext von Kommunikation zu tun, sondern auch in gewisser Weise mit dem Mut, unangenehme soziale Situationen tatsächlich auch zu begehen und zu bewältigen, und sich nicht im viel leichteren, bequemen Vermeidungsverhalten zu entspannen. Denn der Trugschluss, "sozial kompetent" sei derjenige, der sich "nett", "höflich", "freundlich" verhalte und deshalb allseits "beliebt" ist, führt dazu, dass man den Schwierigkeiten vieler sozialen Situationen bewusst oder unbewusst aus dem Weg geht. - Die Auflistung der Beispiele sozial kompetenter Verhaltensweisen von Hinsch und Pfingsten / Gambrill zeigt listet deshalb eben auch Verhalten wie "Änderungen bei störendem Verhalten verlangen" auf.
Fragen Sie sich einmal selbstkritisch: Sprechen Sie jemanden in einem öffentlichen Verkehrsmittel an, der so laut Musik über Kopfhörer oder sein Smartphone abspielt, dass quasi alle Anwesenden genervt sind? Trauen Sie sich, den 'sozial inkompetenten' Störenfried freundlich-bestimmt aufzufordern, die Musik doch bitte etwas leiser zu drehen oder auszuschalten? Und wenn ja, wie machen Sie das? Bitten Sie? Fordern Sie sachlich-bestimmt? Wie gehen Sie mit einer pampigen Rückantwort oder Reaktion um? - Wenn eine solche Situation für Sie tatsächlich keinerlei Herausforderung ist, dann herzlichen Glückwunsch! Diesen Aspekt sozialer Kompetenz erfüllen Sie. Für viele andere Menschen ist die Situation jedoch so unangenehm, dass sie entsprechendes Verhalten bzw. jede Aktion meiden. Und sich vermutlich darüber ärgern, dass sie nicht eingreifen, sich nicht trauen, dennoch genervt sind und sich gestört fühlen, sich ärgern, dass der andere so rücksichtslos ist usw. ...
Die obige Liste mit Beispielen für Sozialkompetenz enthält sehr viele unterschiedliche Verhaltensweisen, die in sehr unterschiedlichen Situationen gefragt sind. Und was man dabei bedenken muss bzw. sich bewusst halten muss: Soziale Kompetenz ist nichts, das man hat oder nicht hat. Sozialkompetenz besteht aus so vielen Facetten, dass man sozialkompetentes Verhalten immer im Kontext der jeweiligen Situation(en) und deren Anforderungen sehen muss. So kann jemand in drei Situationen sich sehr wohl sozial kompetent verhalten, in drei anderen Situationen jedoch nicht.
Die Verhaltensbeispiele aus der obigen Liste müssen also Situations-abhängig gesehen werden. Manch einer kann den banal klingenden Punkt "Gespräche beginnen" zwar für sich abhaken können / wollen, muss dann aber doch feststellen, dass einem das Beginnen eines Gesprächs in bestimmten Situation doch schwer oder gar äußerst schwer fällt: Auf einer Messe, einer Networking-Veranstaltung, gegenüber einer unbekannten attraktiven Person des anderen Geschlechts... - Auch das Beispiel "Um einen Gefallen bitten" stellt für sehr viel mehr Menschen ein Problem dar, als die meisten sich vorstellen können. Viele Menschen haben "Angst" davor, jemanden um etwas zu bitten, sich etwas ausleihen zu dürfen, um Hilfe bei etwas zu bitten etc. - Hier spielen ganz viele Facetten eine Rolle: die Angst vor Ablehnung, das Gefühl Schwäche und Hilfsbedürftigkeit zu zeigen, die Befürchtung, der andere fühle sich ausgenutzt oder man stünde dann bei dem Anderen in der Schuld, was sich unangenehm anfühlen mag etc. pp. - Die Psychotherapeuten sind voll von eigentlich "normalen" Menschen mit "sozialen Angststörungen", die vielleicht einmal klein angefangen haben, sich aber über Jahre hinweg zu echten Angsterkrankungen mit chronischem Vermeidungsverhalten entwickelt haben und zu Depressions-Symptomatiken führen können (vgl. auch unseren Glossar-Eintrag zu Sozialphobie / Soziale Angststörung. Unbetroffene mag die Vorstellung komisch vorkommen, dass jemand Schwierigkeiten hat, "andere um einen Gefallen zu bitten", und welche Konsequenzen diese Schwierigkeiten für den Betroffenen haben. Hier erklärt sich auch, warum Bücher wie das "Gruppentraining sozialer Kompetenzen" und entsprechende Trainings auch in der Psychotherapie eine so verbreitete Rolle spielen: Angststörungen, Depressionen, "soziale Kompetenz Probleme" etc. korrelieren oft. Insofern spielen die o.g. Beispiele für Sozialkompetenz ("Was ist sozial kompetentes Verhalten?") eine so große Rolle, auch wenn sie einzeln betrachtet dem einen oder anderen banal und einfach erscheinen. [kommentiert von A. Moritz am 19.11.2016]
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